„Hollywood ist die größte Zeitverschwendung überhaupt“
Bryan Adams: nett, aber laut
Verfönte Turmfrisuren, pinke Paillettenstiefel und Fusselkostüme sucht man bei Bryan Adams vergeblich. Der sozial engagierte Weltbürger und bodenständige Kumpeltyp gehört zu den erfolgreichsten Rock-Songwritern aller Zeiten. Zudem hat er eine respektable Zweitkarriere als gerühmter Fotograf hingelegt.
„Bryan Adams? Nie gehört. Wer soll das sein?“ – Zweifler und Spötter gingen anderthalb Stunden später in die Knie: Am 15. Oktober 1983 betrat ein unbekümmerter junger Bursche die Bühne der Essener Grugahalle und räumte als Opener der WDR-Rockpalast-Nacht, dem Underground-TV-Gegenentwurf zum künstlichen Grand-Prix-Tralala, nach allen Regeln der Kunst ab.
Millionen europäischer Rockfans zwischen Sizilien und Nordnorwegen spürten in diesen 90 Minuten mit Kraftrock-Gassenhauern am Fließband, dass sich in Person des unscheinbaren Grünschnabels etwas äußerst Vielversprechendes auf den Weg machte, die Rockwelt zu erobern. Noch auf der Bühne stieß Adams in aufgekratzter Stimmung mit einem „giant size Oktoberfest beer“ auf den gelungenen Abend an.
Zu einer Zeit, da Rockmusik im schmalen Angebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehsender ein graumäusiges Nischendasein fristete, waren diese zweimal pro Jahr stattfindenden Events einmalige Gelegenheiten, sich ein Livekonzert zu Hause anzuschauen, die Shows gleichzeitig in bester Qualität am Radio mitzuschneiden oder die Nacht auf Parties mit Gleichgesinnten zu verbringen. Eine virtuelle Festivalatmosphäre, die es in dieser Form nie wieder geben sollte, nachdem den Machern 1986 der Geldhahn zugedreht wurde. Eine andere Chance, gleichzeitig über 20 Millionen kontinentale Rockfans zu erreichen, gab es in der Ära vor MTV nicht.
283 Warm-up-Gigs
Was die Rockpalast-Redaktion ab 1978 mit insgesamt 17 Nachtveranstaltungen anstieß, besaß Pioniercharakter und führte zu großen Shows von The Police, Cheap Trick, Jack Bruce, Grateful Dead, Huey Lewis, Joe Jackson, Al Jarreau, Rory Gallagher, Peter Gabriel, Joan Armatrading, The Kinks, Jackson Browne, ZZ Top, Nils Lofgren, The Who, Patti Smith, Van Morrison oder Mothers Finest.
Adams war der mit Abstand jüngste und unbekannteste Musikant im Portfolio dieser etablierten Künstler. Man sah es ihm nicht an, aber der Junge Wilde war längst ausgefuchster Routinier: Bereits mit zarten 15 Jahren stand er als Leadsänger von Vancouvers Lokalhelden Sweeney Todd auf der Bühne, seit seinem 18. Lebensjahr verdiente er sein Geld als professioneller Songwriter, und der Gig in der Grugahalle war lediglich einer von 283 Auftritten des Jahres 1983.
Während das europäische Mainstream-Publikum erst 1985 bei seinem „It’s Only Love“-Duett mit Tina Turner die Ohren spitzte, hatte Adams 1983 auf dem nordamerikanischen Kontinent mit Cuts Like a Knife längst seinen Durchbruch geschafft. Keine zwei Jahre später war der jugendliche Held dank des Mega-Sellers Reckless, elf Video-Clips in heavy rotation auf MTV und weltweit ausverkaufter Gigs der Kategorie Madison Square Garden ein millionenschwerer Superstar, der bei Bob Geldofs „Live Aid“-Projekt vor einem TV-Milliardenpublikum auftrat und Kanadas All-Star-Beitrag für die Äthiopien-Hungerhilfe komponierte.
Juke Box Hero
Karrieren wie die von Bryan Adams sind in der heutigen Zeit kaum noch denkbar: mit einer ungeheuren Serie simpel, aber fein arrangierter Songideen und ureigenem musikalischen Stempel über rund zehn Jahre hinweg weltweit die Sendelisten der Radiostationen zu erobern. Ein echter juke box hero in Stil und Wucht des Foreigner-Evergreens: Der Mann aus dem Nichts, der scheinbar über Nacht, begleitet von seiner treuen Gitarre, Weltruhm erlangt. Pardon – begleitet von seiner überaus treuen Backing-Band: Leadgitarrist Keith Scott, ein ehemaliger Rivale aus der lokalen Szene in British Columbia, gehörte ebenso jahrzehntelang zum festen Stamm von Adams‘ Begleitmusikern wie Bassist Dave Taylor, Keyboarder Tommy Mandel und Drummer Mickey Curry.
Im Gegensatz zu popmusikalischen Eintagsfliegen lieferte Adams allerdings konstant so viele Hits, dass auch ein, zwei Dutzend Acts damit hätten reich und berühmt werden können. Der Kern seiner Nummern funktioniert so simpel, dass sie durchweg mit einer einzigen Akustikgitarre am Lagerfeuer funktionieren, aber auch seit jeher von Zappelbuden-DJs für Trommelfeuer mit 180 beats per minute gecovert werden.
Der zielstrebige Kanadier hatte das Glück, früh genug geboren zu sein, um gerade noch zu einer Zeit zu Hochform aufzulaufen, als in der Plattenbranche noch artist & repertoire-Entscheider tätig waren, die bereit waren, einen Act über mehrere Alben hinweg aufzubauen. Auch bei Adams stellten sich nennenswerte Erfolge, die Buchhalternaturen beglücken, erst mit dem dritten Album ein. In erster Linie gehört Adams zu jenen Menschen, die schon in jungen Jahren durch gleich mehrere „richtige“ Türen gegangen sind, um es tatsächlich bis an die Spitze zu schaffen. Und dazu gehört weit mehr als nur der Sturm und Drang, musikalische Freiräume zu entdecken und auszuleben oder die perfekte Mischung aus Können, Kunst und Kämpferherz.
Aus Rock wird Disco
Bryan Adams hat von Anfang an alles auf eine Karte gesetzt. Zum Entsetzen seines Erzeugers, eines britischen Offiziers und Militärattachés, der samt Familie jahrelang über den Planeten gegondelt war, schmiss er als 16-Jähriger die Schule – mit dem festen Vorsatz, Profimusiker zu werden. Nix war’s mit der Fortführung der Familientradition. Bryans Vater und Großvater hatten die britische Militärakademie Sandhurst ebenso absolviert wie diverse seiner Cousins.
Die Nachbarn seiner Mutter in Vancouver – die Eltern hatten sich 1973 getrennt – nahmen den Berufswunsch gottergeben zur Kenntnis: Der junge Mann sei zwar „sehr nett“, seine musikalischen Ausbruchsversuche „aber auch sehr laut“. Glück im Unglück für die Bewohner nebenan: Eine Karriere als Drummer hatte sich früh erledigt, weil er das Drumset „schon nach ein paar Durchgängen zertrümmert“ hatte, mit zwölf gab’s in England die erste elektrische Gitarre, und weil seine ersten Bands nie einen geeigneten Sänger fanden, „blieb das automatisch an mir hängen“.
Um neben den spärlichen Einnahmen mit allerlei lokalen Live-Acts und als Background-Vokalist bei Produktionen des kanadischen Radios über die Runden zu kommen, spülte der hippiemähnige Krachmacher jahrelang Teller in einer indianischen Imbissbude namens Tomahawk.
Mit 18 ging die erste und gleichzeitig wichtigste Tür für den rookie auf. Adams war auf der Suche nach Tipps, wie er an einen Plattenvertrag kommen könne, und traf sich auf Vermittlung von Freunden in der Kaffeebar eines Musikaliengeschäfts mit dem stadtbekannten Drummer und Mastermind der formidablen kanadischen Prog-Rock-Formation Prism, dem 25-jährigen Jim Vallance. Dem Tontüftler und studierten Pianisten war das Potenzial von Adams als Rampensau in den Venues von Vancouver nicht verborgen geblieben: „Er hatte einfach alles, was man braucht.“
Die beiden verstanden sich auf Anhieb – und beschlossen, als Songwriterduo für Acts mit Schreibblockade ihr Glück zu versuchen.
Dank Jims Kontakten kam es umgehend zu ersten Aufträgen, darunter für die kanadische Legende Bachman-Turner Overdrive. Geplant war, zweigleisig zu fahren: einerseits Bryans Solokarriere aufzubauen und sich parallel als freie Songwriter zu etablieren.
Bryans erster Verkaufshit war eine Single namens „Let Me Take You Dancing“, die es in den US-Disco-Charts immerhin bis auf Position 22 schaffte – nachdem die Pop-Rock-Nummer auf Anordnung des Labels in einen Tanzmusik-Remix umgefummelt worden war.
Labels & Luschen
Der erhoffte Plattenvertrag für den Riffrocker Adams kam ebenfalls bereits 1978 zustande – allerdings erst auf Klingelzeichen des US-Hauptquartiers, denn die Filialleiter nördlich der Grenze hatten gerade alle eine taube Nuss im Ohr. Vorschusslorbeeren gab es jedoch keine. Für die Vertragsunterzeichnung bei A&M kassierte der Beatles-, AC/DC- und Deep-Purple-Liebhaber die grandiose Summe von einem Dollar. Aber die Tür war auf. Und herein kam als nächstes mit Bruce Allen gleich noch ein erfahrener Manager, für künftige Jahrzehnte vertraulicher Partner auf Handschlagbasis.
Selbst als gestandenes Zugpferd wird man von den Sachbearbeitern einer Plattenfirma indes kaum besser behandelt, wie Adams rund 15 Jahre später feststellen sollte. Als er 1993 zusammen mit Rod Stewart und Sting den Song „All for Love“ aufnahm, lernte er die Herrschaften erst so richtig kennen: „Es waren drei Labels involviert, und alle Beteiligten war damit beschäftigt, diese Veröffentlichung zu verhindern. Außer den Musikern.“
Auf seinen ersten beiden Alben Bryan Adams und You Want It, You Got It (das leider nicht den vom Label abgelehnten Arbeitstitel Bryan Adams Hasn’t Heard of You Either (Bryan Adams hat von dir auch noch nie was gehört) aufs Cover gedruckt bekam) lief sich das Duo Adams/Vallance warm. Neben allerlei noch etwas zahm produziertem Pop-Rock auch mit stilistischen Ausflügen wie der Soul-Dance-Nummer „Don’t Ya Say It“, die selbst Disco-Gitarrenheld Nile Rodgers anerkennend abgenickt hätte.
„Aus dem Ärmel schütteln wir uns unsere Songs allerdings nicht“, erzählte Bryan 1985 in einem Interview mit dem kanadischen Fernsehen: „Jim und ich habe viele, viele Stunden mit diszipliniertem Songwriting zugebracht.“ Zu dieser detailversessenen Arbeitsweise gehört auch der weitgehende Verzicht auf Drogen und Alkohol. Seine charakteristische Stimme mit dem raspeligen Timbre wird, anders als bei zahllosen Kollegen, nicht durch Whisky-Infusionen in Form gehalten: „Klar trinke ich schon mal ein Bier, aber was den Rest betrifft, hoffe ich, dass ich aus den Fehlern anderer genug gelernt habe.“
In seinen Lehr- und Wanderjahren spielte Bryan mit seiner Band jeden sich bietenden Gig, vor allem als Anheizer etablierter Acts, wo sich sein Team die nötige Bühnenroutine erarbeitete. 1983 hatte Adams bereits lange Tourneen im Vorprogramm von Bands wie Foreigner, Journey und The Police auf dem Buckel und kassierte zudem Tantiemen als song doctor von Größen wie Bonnie Raitt, Kiss, 38 Special, Lita Ford oder Aerosmith. „Meine Lebensversicherung“ nannte er diese Jobs in den Jahren vor den dicken Schecks.
Heimat statt Hollywood
Die Hippie-Haare bis zur Hüfte waren da längst ab. Wenigstens etwas, worüber sich Bryans alter Herr freuen durfte. Als amerikanische Bands auf breiter Front begannen, ihren Friseuren, Make-up-Artisten und Modeschöpfern für deren Beitrag zu den Gesamtkunstwerken zu danken, setzte Adams konsequent auf die „Junge von nebenan“-Schiene mit Strubbelkopf, T-Shirt, Lederjacke und unaufdringliche Schwarz-weiß-Plattencover statt auf verfönte Turmfrisuren, pinke Paillettenstiefel und Fusselkostüme. Die nach einem Faustkampf aus Kindertagen leicht krumm geratenen Schneidezähne ließ er so, wie sie waren.
Auch ein Umzug nach L.A., wie er für viele Acts seiner Zeit selbstverständlich war, kam für den bodenständigen Blondschopf, der froh war, nach der Tingelei mit Papa durch Portugal, Österreich und Israel in North Vancouver eine Heimat gefunden zu haben, nie in Frage: „Hollywood ist die größte Zeitverschwendung überhaupt. Was soll ich da?“
Bryan ließ lieber Taten sprechen, statt sich auf Cocktailparties in Südkalifornien aufzuplustern („Ich bin nicht ins Musikgeschäft eingestiegen, um rauszufinden, mit wie vielen Frauen ich schlafen oder wie viele Nasen ich ziehen kann“). Also bastelte er zusammen mit Vallance im stillen Kämmerlein konsequent an einer zwar simplen, aber dennoch ganz eigenen Rezeptur: straightes Riffing, mehrstimmige Gesangsharmonien und melodische Hooks, die vor allem dank ihrer einfallsreichen Bridge-Variationen zu griffigen Ohrwürmern reiften, egal ob Power-Rocker oder Power-Ballade. Ganz nach dem Motto: Etwas leicht klingen zu lassen, erfordert mitunter die härteste Arbeit. Die haarfeine Linie zwischen banal und genial: Ist es zu eingängig, kann es sich schnell abnutzen, ist es zu ambitioniert, erreicht man mitunter nur Edelfans statt einem breiten Publikum.
Sein Können als Instrumentalist stuft Bryan nüchtern ein, mit großer Hochachtung vor Vorbildern wie Ritchie Blackmore: „Ich spiele gut genug Klavier und Gitarre, um damit arbeiten zu können. Aber mehr auch nicht.“ Vergleiche wie die mit Boss Springsteen hingegen sind ihm ein Gräuel. Eher sieht er sich in der Nachbarschaft von Rod Stewart und den Faces. Mit „Jealousy“ auf seinem zweiten Longplayer hatte er allerdings auch selbst schon früh die Saat gelegt: Die Nummer hätte problemlos als Highlight auf Springsteens The River-Album stehen können.
Der stille Macher
Ohnehin pflegt er seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zu den Medien, gilt als wortkarg und nicht immer humorvoll. Aber was will man auch mit Pressefritzen besprechen, die das romantische „Summer of 69“ für einen Freiluftporno halten, was ihn zu Erklärungen nötigt wie „1969 war schlicht ein bedeutendes Jahr. Ein Mann auf dem Mond. Woodstock. Und die Beatles haben sich aufgelöst.“
Der Mann mag zwar medienscheu sein, aber er ist alles andere als ein verknöcherter Eigenbrötler. Im Gegensatz zum eitlen U2-Frontmann Bono, der mit Abermillionen auf Hedgefonds-Konten jongliert und sich gleichzeitig bei Empfängen der Reichen und Mächtigen als Retter der Menschheit feiern lässt, ist der Humanist, Tierschützer und Veganer Adams ein stiller Macher, der sein soziales Engagement nicht ständig vor sich herträgt wie ein Werbeposter. Neben zahlreichen Teilnahmen an Benefizkonzerten hat er eine eigene Stiftung gegründet, in die unter anderem seine nicht unbeträchtlichen Einnahmen aus seinen Aufträgen als Fotograf fließen. Damit werden weltweit Schulen und Ausbildungsplätze für Kinder und Jugendliche finanziert.
Der Rest ist Geschichte. Das gediegene Into the Fire-Album von 1987 mit seinem perfekt in Szene gesetzten adult orientated rock. Die Scheidung von Jim Vallance 1989. Musikalische Momentaufnahmen mit Größen wie Paco DeLucia oder Luciano Pavarotti. Sein Portrait von Queen Elizabeth II, das es bis zur kanadischen Briefmarke brachte. Und nicht zuletzt die Kooperation mit Top-Producer Mutt Lange: Waking Up the Neighbours avancierte dank eines echten Rekordsongs zum kommerziell größten Erfolg seiner Laufbahn.
Dank „Everything I Do (I Do It for You)“, dem Titelsong eines Robin-Hood-Filmsoundtracks, den er zusammen mit Lange „in weniger als einer Stunde“ geschrieben hatte, knackte Bryan 1991 mit 16 Wochen auf Platz eins der britischen Charts die schier ewige Bestmarke des 1955 erschienenen „Rose Mary“ von Country-Crooner Slim Whitman. Ein statistisches Nebengeräusch, das ihn bis heute zutiefst verblüfft: „Ich kann es kaum fassen, dass ich mehr erreicht haben soll als die Helden meiner Kindheit, die Beatles und die Rolling Stones …“