Leben und Werk von Lars Ulrich
Mister Metallica
Titelstory für drumheads im Mai 2011
Foto: Axel Jusseit
Viele Drummer lassen direkt nach der Show oder der Studiosession den Hammer fallen. Es gibt aber auch Macher, deren Wirkungsgrad weit über die Schlagzahl ihrer Grooves hinausreicht. Lars Ulrich gehört zur zweiten Kategorie. Der kalifornische Däne ist das Epizentrum von Metallica.
Lars Ulrich landet mit schöner Regelmäßigkeit in sämtlichen Umfragen weit oben, in denen nach dem „besten Metal-Drummer“ des Jahres, Jahrzehnts oder Jahrhunderts gefragt wird. Und dies trotz der Tatsache, dass seine Fähigkeiten als Instrumentalist nicht annähernd an die technischen und spielerischen Werte anerkannter Größen seiner Zunft heranreichen.
Glücklicherweise haben Metallica im Laufe ihrer Karriere Abermillionen Alben verkauft. Sonst wäre Lars Ulrich von den Top 100 der Metal-Drummer so weit entfernt wie Dänemark vom Jupiter. Aber um derlei Listenplätze ist es ihm eh nie gegangen. Solche Pokale sortiert er ähnlich ungerührt weg wie diverse weitere Ehrungen, die man halt obendrauf geklatscht bekommt, wenn man ohnehin zu den Gewinnern der Branche gehört.
Lars macht von Beginn an keinen Hehl daraus, dass er nicht zur Cremetörtchenabteilung seiner Gilde gehört. Bereits in jungen Jahren geht er ungekünstelt und selbstironisch mit der Hausmannskost seines Spiels in die Offensive. Beispielsweise betont er ungefragt nach den Aufnahmen zum verschachtelten vierten Metallica-Studioalbum „... And Justice For All“: „Ich habe nicht einen einzigen Song in einem Take aufs Band gebracht. Sämtliche Drum-Tracks bestehen aus Schnipseln, die wir im Nachhinein zusammenfummelt haben.“
Extrem furchtlos
Die Erfolge von Metallica beruhen auf einer einmaligen internen Balance. Lars steht für diesen Teamgeist. Er hat die Band gegründet, er ist ihr Sprachrohr, er beweist den richtigen Riecher mit der Wahl des plakativen Bandnamens, er sorgt für den Umzug von Los Angeles in San Franciscos Bay Area, er hält die Band 1986 nach dem tragischen Unfalltod von Bassist Cliff Burton auf Kurs, er kümmert sich um die Gestaltung der Bühnenshows, und er hat jederzeit die Tourplanung sowie die geschäftlichen Strippen in der Hand – einschließlich einer aufsehenerregenden Auseinandersetzung mit Metallicas Major-Label Elektra, das die Band 1994 mit zehn Jahre alten Knebelvertragsklauseln abzukochen versucht und schließlich klein beigeben muss. „Wenn ich von etwas überzeugt bin, gehe ich dafür durch Wände“, bemerkt er Ende 1999 im Rock Hard. „Außerdem bin ich extrem geduldig, furchtlos und hartnäckig.“
Alleine deshalb bewegt sich der Vater dreier Söhne auf einer ganz anderen Ebene als so mancher Kollege, der ihm beim Jonglieren mit brennenden Stöckchen oder uhrwerkpräzisen Groove-Mustern die Fahrt vormacht. In der technischen Enzyklopädie der Schlagzeugwelt dürfte ihm vor allem ein Eintrag sicher sein: Für das Album „St. Anger“ von 2003 den blechernsten Snaredrum-Garagensound der Metal-Geschichte kreiert zu haben.
Letztlich gehört Lars zu jener Drummer-Elite, für die Ausnahmefiguren wie Mike Portnoy (Dream Theater), Stewart Copeland (The Police) oder Roger Taylor (Queen) ebenso stehen wie die verstorbenen Neil Peart (Rush) und Cozy Powell (Rainbow): als gewitzter Arrangeur, Songwriter und Unternehmer.
Bevor Trittbrettfahrer mit Raubkopien abkassieren, wird er lieber selbst tätig. Schon zu Vinylzeiten beliefert er Underground-Händler in aller Welt mit neuesten Metallica-„Bootlegs“, um die gewaltige Nachfrage zu befriedigen. Das persönliche Vertriebsnetz existiert schließlich seit jenen frühen Tagen, in denen Lars die erste Demokassette „No Life ’Til Leather“ eigenhändig hundertfach kopierte, eintütete und an Tape-Trading-Freaks rund um den Globus verschickte.
Keine Gnade
Der glühende Anhänger der New Wave of British Heavy Metal verfügt 1981 außer Hetfield nicht einmal über weitere Bandmitglieder, als er erfährt, dass Brian Slagel vom Undergroundlabel Metal Blade beabsichtigt, ein Compilation-Album mit Nachwuchs-Acts auf die Beine zu stellen. Er setzt alles daran, auf diese Scheibe zu kommen – und schafft es.
Vor allem jedoch hält der sprachgewandte Mann seit jeher den Kopf hin, wenn sich die Presse an der Band abarbeitet. Dieses Spiel beginnt bereits Mitte der Achtziger, als Metallica wegen ihres Songs „No Remorse“ (zu deutsch: erbarmungslos) vom Debütalbum „Kill `Em All“ von den US-Medien mitverantwortlich für einen Mord gemacht werden: Zwei jugendliche Straßenräuber in Texas hatten ein Opfer kaltblütig hingerichtet und während der Tat sowie im Gerichtssaal den Text des Metallica-Tracks wie ein Mantra zitiert.
Ähnlich umfangreich entwickeln sich in späteren Jahren Grundsatzdiskussionen um den Einsatz von Metallica-Nummern als Soundtrack der CIA-Foltermethoden in Guantanamo, die spektakuläre Klage gegen die Tauschbörse Napster um die Urheberrechtskontrolle sowie die ständige Auseinandersetzung mit konservativen Fans, die den Stil der Goldenen Jahre am liebsten bis in alle Ewigkeit eingefroren sähen. Die massive Kritik der Altmetaller am musikalischen Richtungswechsel der alternativrockig gefärbten Neunziger-Alben „Load“ und „Reload“ kommentiert Lars 1999 im KulturSpiegel genervt mit den Worten „Heavy-Metal-Fans sind intolerant und dumm. Wenn sie etwas nicht verstehen, werden sie sehr böse.“ Zwei Sätze, die ihm von den Revolutionswächtern der Szene seither aufs Brot geschmiert werden.
Mit 13 wird’s ernst
Dabei ist Lars ein entspannter Mensch, der lebt und leben lässt. Auch Jahrzehnte nach seiner Ankunft in Kalifornien ist er durch und durch europäisch geprägt, geerdet durch eine unbekümmerte, freigeistige Weltläufigkeit, die ihm sein Elternhaus mitgegeben hat. Vater Torben Ulrich hat in seinem Leben alles erreicht, was sich ein kreativer und kunstsinniger Mensch wünschen kann. Er verwirklicht sich als Jazzmusiker, Maler, Buchautor, Kolumnist, Schauspieler, Poet und Regisseur – und ist zudem lange Jahre ein recht erfolgreicher Tennisprofi mit respektablen Ergebnissen auf der Grand-Slam-Tour und im Daviscup.
Als Lars sechs Jahre alt ist, besucht er an der Hand seinen Eltern ein Rolling-Stones-Konzert im Londoner Hyde Park. Vier Jahre später nimmt ihn bei einem Kopenhagener Deep-Purple-Gig das Drumming von Ian Paice lebenslänglich gefangen.
Lars scheint Mitte der Siebziger als Nummer zehn der dänischen Juniorenrangliste längst auf dem Weg in die professionelle Sportwelt. Im Rückblick auf seine Teenagerjahre hält er 1987 in einem Interview mit Stefan Kerzel vom Metal Hammer fest: „In unserem Business gibt es kaum Leute, die Tennis spielen. Da sind Sportarten wie einarmiges Reißen in der Halbliterklasse schon wesentlich populärer. Wer im Tennis erfolgreich sein will, muss ein sehr disziplinierter Typ sein. Musik war meine einzige Flucht aus dieser Tretmühle.“
Mit 13 wird’s ernst: Nach monatelanger Bettelei schenkt ihm seine Oma das erste Schlagzeug. „Das Kit war ein echter Hammer“, grinst er in der Rückschau. „Es bestand aus Teilen von ungefähr vier verschiedenen Herstellern, drei leicht zersprungenen Becken sowie Fellen, die eher einem Schweizer Käse glichen. Eine echte Spezialanfertigung. Jeden Tag, wenn ich meinen Tennisschläger in die Ecke werfen konnte, stürzte ich mich auf mein Kit. Professionell war das natürlich nicht. Ich drosch einfach auf alles ein, was vor mir stand.“
Der erste Bassist von Metallica, Ron McGovney, vermittelt uns in einem Gespräch mit Metallica-Biograph Bob Nalbandian eine Vorstellung davon, wie dieses Gehämmer geklungen haben muss, als der 18-jährige Lars vier Jahre nach dem Umzug seiner Familie in die USA erste Jam-Sessions mit seinem Kompagnon James Hetfield spielte: „Lars war der schlechteste Drummer, den ich je gehört hatte. Er hatte große Probleme, den Beat zu halten. Genau genommen konnte er gar nichts. Ich beschloss, aus der Sache auszusteigen.“
Thunfisch aus der Dose
Eines hatte Ron allerdings unterschätzt: Ulrichs sportive Leidenschaft. Um es mit den Worten von Kaiser Franz auszudrücken: „Ich hatte das große Glück, als Fußballer 70 Prozent Talent mitzubringen. Berti Vogts musste hingegen 70 Prozent Arbeit investieren, um mit seinen 30 Prozent Talent Nationalspieler werden zu können.“ Lars Ulrich ist also streng genommen der Berti Vogts unter den HM-Drummern geworden: Auch mit Fleiß und Hingabe kann man Weltmeister werden.
Lars’ größte Leidenschaft abseits der Musik ist die Beschäftigung mit Kunst und Malerei, ebenfalls angeregt durch sein Elternhaus, in dem seit jeher Künstler jeglicher Couleur ein- und ausgehen. Dank der steigenden Erfolge von Metallica bekommt er die Mittel in die Hand, sich Bilder an die Wand zu hängen, die in seinen Zeiten als Tankwart auf Nachtschicht, als er sich „zwei Jahre lang von Thunfisch aus der Dose“ ernährte, unerschwinglich gewesen wären.
Nicht schlecht staunt der legendäre holländische Journalist und Verleger Mike van Rijswijk, als er die Band 1990 während der laufenden Tour in ihrem Athener Hotel besucht. Lars sitzt in seiner Suite, umgeben von Katalogen großer Kunstauktionshäuser, und ersteigert weltweit über telefonische Standleitungen, die alleine ein Vermögen gekostet haben müssen, allerlei Gemälde. Seine neue Villa mit atemberaubenden Blick auf die Golden Bay benötigt dringend Wandschmuck. Sogar Kollege Hetfield wird von dieser Freizeitbeschäftigung angesteckt. Der Schusswaffen-Maniac konzentriert sich für die Ausstaffierung seiner Jagdhütte allerdings auf den Einkauf antiker Speerwerfer aus Bronze.
Tür auf!
Lars’ Investitionen machen sich im Laufe der Jahre mehr als bezahlt, denn er veräußert so manche Kreation aus seiner stattlichen Sammlung mit deutlichem Gewinn. Im November 2008 wechselt ein Bild des französischen Malers Jean-Michel Basquiat, das Lars einst zum Schnäppchenpreis erworben hatte, bei einer Versteigerung des Auktionshauses Christie’s für zwölf Millionen Dollar den Besitzer.
Ulrichs Prinzip beim Umgang mit seinen Einnahmen ist denkbar einfach. Er verhindert die Bildung von Mythen durch weitgehende Offenheit. Was Pamela Anderson und Tommy Lee mit der Veröffentlichung ihres Privatpornos im Netz erreicht haben, nämlich den schlüpfrigen Gerüchteköchen der Boulevardpresse jeglichen Wind aus den Segeln zu nehmen, praktizieren Metallica mit ihrer Band-Dokumentation „Some Kind of Monster“ in puncto Einnahmen: „Wenn du die Tür schon aufmachst, dann richtig“, bekräftigt Lars 2004 in einem Gespräch mit einer Lokalzeitung in New Orleans. „Es ist doch Blödsinn, so zu tun, als hättest du kein Geld, wo doch alle Welt weiß, dass du mehr als 90 Millionen Platten verkauft hast. Du hältst das Bild nicht dadurch sauber, dass du es schönst, sondern dadurch, dass du nichts versteckst.“